Samstag, 5. April 2014

Der Heimvorteil: Klarer Trend über die Zeit



Ein bekanntes Phänomen beim Fußball ist der "Heimvorteil". Nationalmannschaften scheiden bei Weltmeisterschaften zu Hause oft relativ erfolgreich ab. In der Champions League und im European Cup drücken Spieler und Trainer die Daumen, dass sie das Rückspiel doch bitte im eigenen Stadion antreten dürfen, und auch in der Bundesliga sehen wir einen beachtlichen (statistischen) Vorteil der Heimmannschaft gegenüber dem Team, dass auswärts antretten muss.

Im langjährigen Durschnitt von 1963/1964 bis zur Winterpause der Saison 2013/2014 sehen wir, dass die Heimmannschaft 51,2% aller Bundesligapiele gewinnen konnte (in 15.394 Spielen), aber nur in 22,9% aller Spiele konnte sich das Auswärtsteam durchsetzen. Dies hat ganz unterschiedliche Gründe: Die Fans spielen natürlich eine große Rolle, die Schiedsrichter bevorteilen die Heimmannschaft (und werden ebenfalls durch die Fans beeinflusst; siehe Dohmen, 2008), die Anreise mag ein Grund sein oder die Kenntniss des eigenen Platzes. Skarupke (2000) hat den Heimvorteil, sowie mögliche Gründe dafür, auch in einem wissenschaftlichen Arbeitspapier untersucht.

Aber wie hat sich der Heimvorteil über die Zeit entwickelt? Die folgende Grafik zeigt die durchschnittliche Anzahl der Heimsiege pro Saison und weist auf einen klaren Trend hin: Die Bedeutung des Heimvorteils hat nach den 1970er über die Zeit abgenommen. Der Rückgang war besonders deutlich von Ende der 70er bis zum Ende der 80er Jahre, hat sich aber seitdem weiter fortgesetzt. In der folgenden Grafik ist der Anteil der Siege an allen Spielen zu sehen:

Ein sehr ähnliches Bild ergibt sich, wenn man nur die Spiele betrachtet, die ohne Unentschieden geendet sind:

Die 3-Punkte-Regel hat hier anscheinend nur einen geringen Einfluss. Die durchschnittliche Anzahl an Heimsiegen in den Jahren vor und nach der Umstellung der Zählweise ist sehr ähnlich. Aber selbst seit der Einführung zur Saison 1995/1996 scheint die Bedeutung weiter abzunehmen. 


Zur Einfachheit haben wir im Folgenden die ersten 50 Jahre der Bundesliga in fünf Dekaden unterteilt und uns die durchschnittliche Anzahl der Spiele angeguckt, in denen die Heimmannschaft gewonnen hat. Hier sieht man deutlich, dass in den letzten zehn Jahren die durchschnittliche Zahl an Heimsiegen mit 45,7% deutlich unter der langfristigen Quote von 51,2% lag. Bis zur Winterpause lag der Anteil an Heimsiegen übrigens bei 46,7%. Der Fernsehsender ntv hat über diese Entwicklung geschrieben, dass der Heimvorteil kein Vorteil mehr sei, aber das stimmt nicht, auch in der ersten Häfte der Saison 2013/2014 gewann die Heimmannschaft noch deutlich häufiger, denn der Anteil der Auswärtssiegen lag nur bei 30,3. Dies entspricht im Durchschnitt 1,63 Punkten für die Heimmannaschaft gegenüber 1,14 Punkten für die Gäste, in statistisch signifikanter Unterschied.

Damit geht die Frage einher, ob der Rückgang des Heimvorteils durch mehr Unentschieden oder durch mehr Auswärtssiege kompensiert wurde. Im Folgenden gucken wir uns zunächst die Anzahl der Auswärtssiege an.

Hier ist ebenfalls ein klarer Trend zu mehr Auswärtssiegen zu erkennen, der gegenläufig zur Entwicklung der Heimsiege verläuft. Dieser Trend ist leichter zu erkennen, da er die Schwankungen um die Trendkurve geringer sind. Legen wir eine quadratische Funktion durch die durchschnittliche Anzahl der Heimsiege pro Saison, so erklärt diese Funktion 85% der Varianz der Unterschiede (das Bestimmtheitsmaß) in der Auswärtssiegquote über die unterschiedlichen Spielzeiten der Bundesliga, aber „nur“ 54% der Varianz der Heimsiegquote über die unterschiedlichen Saisons.


Was könnten die Gründen für den Rückgang des Heimvorteil sein? Ein Grund mag sein, dass die Anreisen komfortabler geworden sind, und die Auswärtsspieler heutzutage entsprechend weniger erschöpft sind. Aber auch die Schiedsrichterausbildung wird heute professioneller ablaufen als vor einigen Jahren, und dies könnte dazu beitragen, dass die Schiedsrichter fairer entscheiden, und weniger durch das Heimpublikum beeinflusst werden. Auch die verbesserten Trainingsmöglichkeiten könnten ein Grund sein, Spielfeldgrößen unterscheiden sich teilweise relativ deutlich, und heutzutage stehen den Vereinen teilweise Plätze unterschiedlicher Größe zur Verfügung.

Als letztes zeigen wir noch die Entwicklung der Unentschieden, allgemein enden in der Bundesliga knapp unter 26% aller Spiele mit einem Unentschieden (bis zur Winterpause waren dies 23% der Spiele in der Saison 2013/2014):

Bei der Entwicklung der Unentschieden ist kein allgemeiner Trend zu erkennen. Deutlich ist aber der Anstieg der Unentschieden ab Mitte der 1980er Jahre, der zur Einführung der 3-Punkte-Regel geführt hat. Akademische Studien wie zum Beispiel Dilger und Geyer (2007) bzw. Dilger und Geyer (2009) haben daraufhin untersucht, inwiefern die 3-Punkte-Regel ursächlich dazu beigetragen hat, die Anzahl der Unentschieden zu senken. Die oben genannten Studie kommen, dabei zum Ergebnis, dass die 3-Punkte-Regel tatsächlich erfolgreich war, Unentschieden zu verringern. Das Ergebnis wird allerdings von Strauß et al. (2009) angezweifelt.

Sieht man sich die Entwicklung an, so scheint es schwer festzustellen, ob der Anstieg Mitte der 1980er nur ein temporäres Phänomen war, oder tatsächlich durch die 3-Punkte-Regel gestoppt werden konnte. Aber vielleicht werden wir uns mit der Fragestellung in einem zukünftigen Post beschäftigen.

Der Heimvorteil ist, wie wir in das in der Einleitung angedeutet haben, ein internationales Phänomen. Obwohl das Ausmaß des Heimvorteils historisch zwischen den europäische Ligen sehr unterschiedlich war, verläuft die Entwicklung des Heimvorteils in den großen in Europa sehr ähnlich. Dies wird in zwei lesenswerten Artikeln bei ClubElo.com beschrieben. Die Bundesliga ist übrigens nicht besonders auffällig, in der Vergangenheit war der Heimvorteil in Spanien größer und in England niedriger als hierzulande. Heutzutage ist dagegen die Größe des Heimvorteils in Europa sehr ähnlich:
ClubElo.com "Home Field Advantage per Country"
ClubElo.com "The mysterious decline of home advantage"


Daten: Bundesliga Spiele 1963/1964 - Winterpause 2013/2014

Weitere Informationen:
Bring, Johan, and Marcus Thuresson. "Three points for a win in soccer: Is it fair?." Chance 24.3 (2011): 47-53.
Dilger, Alexander, and Hannah Geyer. "Theoretische und empirische Analyse der Drei-Punkte-Regel." Sport und Gesellschaft 3 (2007).
Dilger, Alexander, and Hannah Geyer. "Are three points for a win really better than two? A comparison of German soccer league and cup games." Journal of Sports Economics 10.3 (2009): 305-318.
Dohmen, Thomas J. "The influence of social forces: Evidence from the behavior of football referees." Economic Inquiry 46.3 (2008): 411-424.
Skarupke, Robert. "Quantifizierung des Heimvorteils im deutschen Profifußball: Eine empirische Untersuchung für die 1. Fußball-Bundesliga". (August 2000) (2000).
Strauß, B., N. Hagemann, and F. Loffing. "Die Drei-Punkte-Regel in der deutschen 1. Fußballbundesliga und der Anteil unentschiedener Spiele." Sportwissenschaft 39.1 (2009): 16-22.

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